„Diversität ist keine Qualität, sondern ein Fakt“

„Diversität ist keine Qualität, sondern ein Fakt“

Diversität in der Kommunalverwaltung – darüber spricht Christian Mappala, Geschäftsführer von third culture, mit dem Magazin der Transferagentur Nord-Ost, tanorama.

Transferagentur Nord-Ost: Herr Mappala, woher kommt der Begriff der Diversität und welches Konzept hintersteht ihm?

Christian Mappala: Der Begriff „Diversity“ stammt aus dem Englischen und wird unterschiedlich übersetzt. Diversity versteht sich als „Diversität“, „Heterogenität“, „Vielheit“, „Verschiedenartigkeit“ oder „Vielfalt“. Es gibt unterschiedliche Definitionen. Ich persönlich finde folgende sehr ansprechend: „Diversity is a mixture of people with different group identities within the same social system“ (Fleury, Maria Tereza Leme 1999). „Group identities“ können z. B. mit diesen Aussagen verdeutlich werden: „Ich bin eine Mutter, ich bin eine Tochter, ich bin eine Frau, ich bin eine religiöse Frau, ich bin eine Ehefrau“. Es ist gut zu erkennen, dass ein und dieselbe Person unterschiedliche Rollen einnimmt bezogen auf den Kontext, also dem sozialen System, in dem sich diese Person befindet. Nehmen wir mal einen Kita-Elternabend als Kontext. Es werden wohl viele Mütter, von denen einige Alleinerziehend sind oder auch Väter, vielleicht ältere Geschwister in Vertretung der Eltern oder Menschen mit Einschränkungen oder Migrationsgeschichte und natürlich pädagogisches Personal anwesend sein. Das wäre dann ein „mixture of people“ mit unterschiedlichen „group identities“ in einem sozialen System.

Unter dem Begriff „Diversity Rad“ werden im Internet bildhafte und leicht zugängliche Erklärung zum Thema Diversity als Ergebnis angezeigt. Dabei ist für mich „soziale Herkunft“ ganz klar zu berücksichtigen, doch in den meisten Darstellungen fehlt dieses Merkmal. Wenn wir uns die PISA-Studie anschauen, dann sehen wir, wie gut die jeweiligen Bildungs- und Teilhabechancen in Deutschland von diesem Merkmal abhängen. Das bedeutet dann auch, dass Diversity und Antidiskriminierung immer zusammen gedacht werden müssen.

Diversity hat seinen Ursprung in den 1960er und 1970er Jahren in den USA, kurz nachdem die ersten Gleichstellungsgesetzgebungen verabschiedet wurden. In den Anfängen stand ganz eindeutig ein gerechtigkeitsbegründeter, nämlich der „Fairness- und Discrimination“-Ansatz im Vordergrund. Organisationen waren durch diese Gesetze unter Druck, Benachteiligungen sprich Diskriminierung rasch zu eliminieren. Über Quoten, Fördermaßnahmen und Regeln, wie sich Personen in diesen Organisationen zu verhalten hatten, wurde versucht, den Anforderungen gerecht zu werden. Im Vergleich: Eine Diskriminierung auf Grund von ethnischer Zugehörigkeit respektive Nationalität war Ausgangspunkt für ein europäisches Antidiskriminierungsrecht. Im Jahre 2000 wurden dann vier europäische Gleichbehandlungsrichtlinien beschlossen, die in Deutschland auf nationaler Ebene im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz mündeten. Das AGG trat dann in Deutschland am 18. August 2006 in Kraft. Personenbezogene Merkmale wie Geschlecht, Religion und Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität dürfen nicht zu einer Benachteiligung in bestimmten gesetzlich genannten Situationen wie z. B. für den Zugang zu Erwerbstätigkeit sowie für den beruflichen Aufstieg, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen führen. Das gleiche gilt für rassistische Benachteiligungen.

Die zweite Phase von Diversity wird auch als „Marktzutritts- und Legitimitätsansatz“ benannt, der eine wirtschaftlich-utilitaristische Herangehensweise ist. Dabei werden Beschäftigte mit bestimmten Merkmalen wie z.B. Homosexualität oder eine ethnische Zugehörigkeit genutzt, um Kapitalsteigerungen und Marktzuwachs zu erzielen. Das Wissen über die spezifischen Wünsche und Gewohnheiten verschafft den Unternehmen Zugang zu neuen Märkten und Kundensegmente und steigert somit die Wettbewerbsfähigkeit.

Beide Ansätze waren nicht wirklich erfolgreich. Ein Diversity Management Ansatz, der die Grundhaltung von Antidiskriminierungsperspektive und Fairness überhaupt nicht berücksichtigt, ist wegen fehlender Glaubwürdigkeit innerhalb der Belegschaft langfristig zum Scheitern verurteilt. Wenn aber nur der Marktzugang im Vordergrund steht, dann können sich diese Mitarbeitenden ausgenutzt und stereotypisiert fühlen.

Der nächste Schritt war konzeptionell beide Ansätze zusammen zu denken und eine Organisation als eine lernende zu betrachten. Deshalb wird auch von einem „Lern- und Effektivitätsansatz“ gesprochen, der eine ganzheitlich-systemische Herangehensweise darstellt. Leitbildprozesse, Strukturanalysen, Sensibilisierungstrainings sind Maßnahmen, die dabei verwendet werden. Doch der Aufwand ist hoch und hat häufig Widerstand und Überforderungsgefühle zur Folge.

Derzeit sind wir in der Weiterentwicklung von Diversity bei einem system-theoretischen Ansatz, der Verantwortung und Sensibilität gegenüber den relevanten Umweltsystemen zeigt. Denn werden Organisationen als soziale Systeme betrachtet, die für ihr Funktionieren auch auf Ressourcenzufuhr wie z.B. Arbeitskräfte und Rohstoffe angewiesen sind, dann macht es für Unternehmen Sinn, die Folgen ihres organisationalen Handelns in Bezug auf – kulturelle, gesellschaftliche, psychische und organische Ressourcen – zu berücksichtigen. Unter dem Stichwort CSR, Corporate Social Responsibility, wird diese Verantwortung der Unternehmen in Bezug auf Umweltthemen, Kinderarbeit oder auch Familienfreundlichkeit in den Blick genommen.

Warum sollte eine Organisation wie die Kommunalverwaltung divers sein?

„Unsere Verwaltung beschäftigt 18 Nationalitäten“! Ja, und? Diversität an sich ist keine Qualität, sondern ein Fakt. Wie mit dieser Diversität umgegangen wird, ist das Entscheidende. Häufig wird mit divers Nationalität oder die Geschlechterdimension gemeint und andere Persönlichkeitsmerkmale ausgeblendet.

Kommunale Verwaltungen stehen in unterschiedlichen Wirkzusammenhänge. Zum einen konkurrieren sie mit Unternehmen in der Privatwirtschaft um Fachkräfte, so dass es wichtig ist, eine attraktive Arbeitgeberin zu sein. Dabei kommen dann Aspekte wie Führungsverständnis, Familienfreundlichkeit und berufliche Entwicklung zum Tragen.

Ein weiterer Grund ist der gesetzliche Auftrag von kommunaler Verwaltung. Egal, ob bei weisungsgebundenen Pflichtaufgaben, pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben oder dem Herzstück der Kommunalpolitik, den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben, wenn Personen oder Gruppen nicht mitgedacht oder nur aus einer Perspektive wahrgenommen werden, dann wird damit die Fragmentierung der Gesellschaft begünstigt. Gerade bei den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben entscheiden Kommunen selbst, ob sie überhaupt tätig werden und wie sie das tun. Erstellt man ein eigenes Integrationskonzept? Fördert man bestimmte Beratungsangebote? Macht man Rassismus-Bekämpfung zum kommunalen Thema?
Das Wissen über die spezifischen Wünsche und Gewohnheiten hilft kommunaler Verwaltung die Bedürfnisse der ansässigen Menschen besser zu verstehen. Deswegen ist es wichtig, solches Wissen in Form von Personal in die Verwaltungen rein zu bringen. Damit ist Verwaltung nicht einfach nur divers, sondern diese Diversität wird einem Zweck zugeführt. Allerdings sollten die Gefahren aus dem „Marktzutritts- und Legitimitätsansatz“ immer im Blick gehalten werden.

Was sind die derzeitig größten Herausforderungen für Kommunalverwaltung bei der Umsetzung von Diversität?

Diversität wird allzu häufig noch in einzelner funktionaler Zuständigkeit gedacht. Doch eine Person ist eben nicht nur z.B. Frau, sondern vielleicht eine schwarze Frau mit, sagen wir, muslimischem Glauben. Wenn es nun Vorfälle gibt, in denen Verwaltung als Arbeitgeberin fungiert und die Überschneidung von Sexismus und Rassismus relevant wurden, dann ist klar, dass die Behandlung dieser Angelegenheit als Querschnittsaufgabe gedacht werden muss. Aber auch die Orientierung nach außen in die Zivilgesellschaft rein, sollte das widerspiegeln. Verwaltung nimmt damit eine Vorbildfunktion ein.

Auch die Veränderungen durch den demografischen Wandel und der Digitalisierung hat zur Folge, dass sich der Blick auf Arbeit in Bezug auf Hierarchie, Führungsverständnis, Arbeitsformen und Arbeitsmittel ändert. Diesem Wandel substanziell und in der Vermarktung zu begegnen, halte ich für eine weitere große Herausforderung.

Grundsätzlich würde ich empfehlen, sich stärker zwischen den Ämtern zu vernetzen, um Synergien und Ressourcen zu schaffen und Doppelstrukturen zu vermeiden, denn die Umsetzung von Diversity-Strategien wird nicht ohne finanzielle und personelle Ressourcen zu erreichen sein. Führungskräfte als Vorbilder – das wirkt immer, gerade in Bezug auf Diversity-Maßnahmen nach innen und außen. Hilfreich sind Sensibilisierungs- und Kompetenztrainings für die gesamte Belegschaft am besten innerhalb einer Gesamtstrategie für eine diversitätsbewusste Verwaltung.

Wie könnte Kommunalverwaltung diesen Herausforderungen begegnen? Welche Diversitätsmanagement und -monitoringansätze würden Sie empfehlen?

Es ist sinnvoll, Ziele zu den unterschiedlichsten Themen wie Wohnen, Mobilität, Digitalisierung und Bildung definieren. Dazu braucht es eine verlässliche Datengrundlage, um Strategien zu entwickeln, die in konkrete Maßnahmen münden. Da Diversity Management ein iterativer Prozess ist, gilt es, die Resultate zu messen, mit der Zielsetzung abzugleichen und erneut Ziele zu benennen.

Im Vorfeld zu Ihrem Fachtag wurde ich von Ihnen auf das Wiener Diversitätsmonitoring aufmerksam gemacht. Vielen Dank dafür. In der Art lese ich gern ein Monitoring!

Auch die Kurz-Expertise der Robert-Bosch-Stiftung zum kommunalen individuellen Integrationsmonitoring als Instrument kommunalpolitischer Gestaltung mit nur 16 Seiten ist absolut lesenswert.


 

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